Wie Fruchtfliegen die Forschung verändern können
Das Team um EMBL-Forscher Dr. Justin Crocker zeigte in zwei aktuellen Veröffentlichungen, wie die Zuhilfenahme der Umwelt und synthetischen Biologie in der Forschung das Verständnis rund um die Prinzipien der Evolution und Genetik revolutionieren kann.
Es gehört bis dato zur guten wissenschaftlichen Praxis, die Bedingungen eines Experimentes so kontrolliert wie möglich zu halten. Dadurch kann der Wissenschaftler die einzelnen Variablen testen und beobachten, wie jede einzelne das Ergebnis beeinflusst. Dies erhöht jedoch auch das Risiko, dass Auswirkungen übersehen werden, die nur außerhalb dieser engen Bereiche von Bedingungen sichtbar werden können. Deswegen wird dieses Vorgehen wird nun von Forschern des European Molecular Biology Laboratory (EBML) in Heidelberg in Frage gestellt. Das Team um Dr. Justin Crocker zeigte in zwei neuen Veröffentlichungen Mitte Dezember und Anfang Januar, wie die Zuhilfenahme der Umwelt und synthetischen Biologie in der Forschung das Verständnis rund um die Prinzipien der Evolution und Genetik revolutionieren kann.
Phänotypische Evolution, also die Entwicklung der sichtbaren Eigenschaften jedes Organismus, ist ein besonders wichtiges Forschungsfeld im Hinblick auf zentrale Probleme. Durch den Klimawandel zum Beispiel müssen sich Organismen an die sich rasch verändernde Umwelt anpassen. Um die Umwelt mit in Betracht zu ziehen, wählten die Wissenschaftler im Rahmen ihrer ersten Studie, die im Dezember 2022 veröffentlicht wurde, Obst aus der Campusumgebung als Nahrungsquelle für ihre Fruchtfliegen, im Vergleich zu der bekannten und kontrollierten Labornahrung. Sie untersuchten die phänotypischen Unterschiede der beiden Fliegengruppen und stellten fest, dass bestimmte genetische und epigenetische Phänomene besser einzuschätzen sind, wenn man die Auswirkungen unter „natürlicheren“ Umweltbedingungen untersucht. „Es stellt das derzeitige Paradigma in Frage, Experimente so weit wie möglich zu standardisieren und sich auf sehr spezifische Bedingungen zu konzentrieren“, so Dr. Albert Tsai, Erstautor der Studie aus dem Centre de Recherche en Biologie cellulaire de Montpellier (CRBM). „Wir müssen kontrollierte Wege finden, um mehr natürliche Umgebungen ins Labor zu bringen.“
Aus dieser Studie entstand die Fragestellung, wie und wieso Phänotypen überhaupt unter bestimmten Bedingungen hervortreten – eine zentrale Frage in der Evolutionsbiologie. Um eine innovative Alternative zu den klassischen Experimenten zu testen, führten sie im Rahmen der zweiten Studie die im Januar dieses Jahres veröffentlicht wurde, eine völlig zufällige Sequenz in das Genom ein, anstatt selektiver Mutationen. Die zufälligen, mit Hilfe eines synthetischen DNS-Ansatzes aktivierten Sequenzen steuerten überraschenderweise die Genexpression in allen Teilen des Fruchtfliegenembryos problemlos. „Diese Studie gibt uns zu denken: Wenn jede zufällige Sequenz die Expression steuern kann und wir ein Genom mit Millionen von Sequenzen haben, stellt sich vielleicht nicht so sehr die Frage, wie man die Expression erzeugt, sondern wie man sie unterdrückt oder kontrolliert“, so Crocker.